Selbstverständnis

Ein Auszug einer Rede von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller zum Thema: 

„Christliche Werte in einer säkularen Medienwelt“:  Wie beeinflussen die Medien unsere Kinder? Woran werden sie zukünftig glauben?

Ich möchte meinen Zeilen vorausschicken: Ich bin kein Kulturpessimist! Und ich vertrete die Überzeugung, dass technologische Prozesse nicht aufzuhalten sind, aber von uns gestaltet werden können und müssen.

Ich möchte Ihnen zunächst einen kurzen Überblick über die Medien-Nutzungsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen geben und dabei die Vielfalt der Medienendgeräte beschreiben. Im zweiten Teil meines Beitrags spreche ich über die Folgen der Medienrealität und mache mich dann auf die Spurensuche nach christlichen Werten in der Medienwelt. Es geht mir vor allem darum, deren Akzeptanz und mögliche Perspektive zu beschreiben.

Abschließend gestatten Sie mir bitte einige persönliche Schlussfolgerungen zu den Ursachen der Veränderungen wertebezogenen Verhaltens in unserer Gesellschaft und zu möglichen Handlungsoptionen.

Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen

Zunächst einige Informationen zur Präferenz von Medien unter Kindern und Jugendlichen und der Nutzungsdauer dieser Medien. 

Fernsehkonsum von Kindern und Jugendlichen

Das Fernsehen hat sich als Leitmedium selbst für ältere Kinder behauptet. In Ausgabe 4/2010 der führenden Fachzeitschrift Media Perspektiven wird berichtet, dass 68% der 12-13-Jährigen nach eigenen Angaben täglich fernsehen, Internet- und Onlinedienste nutzen 41% täglich. Erst im weiteren Jugendalter schiebt sich dann immer stärker die Internet-Nutzung vor das Fernsehen. Die Sehdauer beträgt bei den 3-13-Jährigen zwischen 80 und 100 Minuten täglich, bei den älteren Kindern 226 Minuten täglich, also ca. 4 Stunden durchschnittlich.

Internetnutzung von Kinder und Jugendlichen

In Bezug auf die Internetnutzung spricht die Shell-Studie 2010 von 12,9 Stunden wöchentlicher Internetnutzung, wobei männliche Onliner ca. 15 Stunden im Netz sind, weibliche lediglich 10,7 Stunden. Gehen Sie davon aus, dass Ihre Kinder neben den vier Stunden am Fernseher auch 2 Stunden täglich im Netz surfen und kommunizieren.

Hinzu kommt eine intensive Handynutzung, Videos, DVDs, Games und natürlich der Musikkonsum. Wo bleibt das gute Buch, die tägliche Zeitung, die unser Leben so geprägt haben? Die häufigste Freizeitbeschäftigung bei den 12-25-Jährigen ist die Internetnutzung mit 59%, gleichauf mit dem „Sich mit Leuten treffen“. Bezüglich des Medienkonsums folgen Musikhören (56%), Fernsehen (54%), Bücher lesen (27%), Videospiele (21%) und Videos/DVD (20%). Zeitschriften geben nur noch 8% der Jugendlichen an. Tageszeitungen werden so gut wie gar nicht mehr gelesen. (Quelle: Shell-Studie 2010: 96-97)

Viel wichtiger als das „Wie lange?“ ist natürlich das „Was?“.

Welche Inhalte werden von Kindern und Jugendlichen gesucht und konsumiert?

Die 3-13-Jährigen verbringen den größten Anteil ihrer Fernsehzeit bei SuperRTL. Von den 88 Minuten täglicher Sehdauer entfallen auf SuperRTL 19 Minuten, 14 Minuten auf den KIKA und jeweils 8 Minuten auf Nickelodeon, RTL und ProSieben.

Bei den TOP 10 wurden im Jahre 2009 von den Kids genannt: „Unser Sandmännchen“ und „Gute Nachtgeschichten“, bei den einzelnen Sendungen „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“, Zeichentrickformate usw., aber auch Castingshows, wie „Das Supertalent“ bei RTL oder DSDS. Bei den Mädchen punkten die Castingshows deutlich besser als in der Gesamtbetrachtung. (Quelle: Media Perspektiven 4/2010: 191)

Die Fernsehnutzung von Kindern, aber auch von Jugendlichen ist relativ stabil geblieben. Die entscheidenden Veränderungen finden vor allem im Internet statt. War das Internet bislang vor allem ein Informationsmedium, hat es sich in den letzten Jahren immer mehr auf Sozialkontakte ausgerichtet. Es haben sich soziale Netzwerke durchgesetzt, die Menschen mit ähnlichen Interessenlagen zusammenführen:

  • Social News Sites (Digg oder Yigg) lassen in der Community über Nachrichtenartikel abstimmen. Was auf die Titelseiten der populären Social News Sites gelangt, inspiriert Blogger, Journalisten und andere Multiplikatoren zu neuen Aktivitäten. Hier sind Spielräume fürs Agenda-Setting, das heißt Beeinflussung der Berichterstattung.
  • Über Social Bookmarking Sites (Delicious oder Mister-Wong) identifizieren und speichern viele ihre Websites-Favoriten, um sie jederzeit standortunabhängig wieder abrufen zu können.
  • In den sozialen Netzwerken treffen sich Menschen mit gemeinsamen Interessen zum ständigen Gedankenaustausch (FacebookMyspaceXing oder LinkedIn und anderen). Und genau hier findet meiner Überzeugung nach eine sehr wichtige Entwicklung statt, die unsere besondere Aufmerksamkeit verdient.

Folgen der Mediennutzung durch Kinder und Jugendliche im Internet

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Folgen der skizzierten Medienrealität zunächst im Internet zu sprechen kommen. Soziale Netzwerke hören sich so uneingeschränkt positiv an, so sozial. Und in der Tat, unabhängig von geschäftlichen Aktivitäten, neudeutsch als Social Media Marketing bezeichnet, kann ich hier alte Bekannte wiederfinden, von denen ich jahrelang nichts gehört habe und auch Feiern und Treffen organisieren oder von solchen erfahren.

Soziale Netzwerke fördern Abhängigkeiten

Aktive Teilnehmerinnen in diesen Communities müssen unentwegt Statusmeldungen ertragen. Sie fühlen sich allzu häufig auch genötigt, Angebote ihrer Freunde anzunehmen. Ich habe mehrfach beobachten können, wie Freunde andere Teilnehmer bei Facebook aufgefordert haben, sich mit ihnen im Rahmen sog. Casual Games zu messen. Spielegemeinschaften im Netz kosten Zeit und verführen. Hier werden ohne Zweifel schleichend Abhängigkeiten geschaffen.

Ich stimme dem Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie Oliver Bilke in Hellersdorf zu, wenn er in dem Artikel Süchtig nach der Scheinwelt auf Zeit.de sagt:

„Angesichts der Diskussion um die Gefahren durch Killerspiele, bei denen Jugendliche die Perspektive bewaffneter Schützen einnehmen, drohen die leiseren Gefahren unterzugehen.“

Tabubrüche in sozialen Netzwerken

Ich möchte einen Blick auf Tabubrüche im Internet werfen und bleibe bei den Social Networks, den Sozialen Netzwerken im Internet. Ich habe eine 27jährige Tochter und eine 9 Jahre alte Enkelin, die aber 360 km von mir entfernt wohnen. So hatte ich mich daran gewöhnt, bei den alle zwei Monate stattfindenden Besuchen meiner Kinder insbesondere von meiner Enkelin zu erfahren, was so alles im Berichtszeitraum geschehen war. 

Eines Tages kam meine deutlich jüngere Lebensgefährtin hinzu. Sie gehört zu den sog. „Digital Natives“, also zur eingeborenen Generation Internet, die mit Wikis, Blogs und Social Networks aufgewachsen ist. Sie verwies auf meinen Plan, meine Tochter befragen zu wollen, wie es um ihre Beziehung zu dem mir vorgestellten Freund stehe. Sie sagte: „Du brauchst sie nicht mehr zu fragen. Es steht alles bei Facebook.“

Mir ist diese Welt, oder besser gesagt, die Leichtgläubigkeit, in dieser digitalen Welt so zu leben, fremd. Ich habe ich mich gegen Volkszählungen gewehrt, weil für mich der Datenschutz nicht gesichert schien. Trotz vieler Versicherungen der Netzwerkbetreiber, keine Daten aus den Netzwerken heraus Dritten zugänglich zu machen, warne ich eindringlich. Bei Facebook verschmelzen beispielsweise immer mehr berufliche und private Kontakte: Niemand kann sich sicher sein, wer wann welche Informationen sehen kann.

Die Medienwissenschaftler sind sich einig: Je jünger die Internetnutzer, desto häufiger tauschen sie sich online über Tabuthemen aus. So tauschen sich 10% der 16-20-Jährigen Männer im Netz über ihre Gewaltfantasien aus. 18% sind es beim Thema „Probleme in der Sexualität“ Jeder 4. Nutzer zwischen 16 und 39 greift auf Pornos und Sexinhalte im Netz zurück. Jeder Siebte beschäftigt sich mit Gewalt verherrlichenden Darstellungen und rassistischen Inhalten. Das Fehlen des direkten Gegenübers bei der Onlinekommunikation und damit der anonymere Charakter erleichtern insbesondere den 16-20jährigen Männern den Austausch über Tabuthemen.

Meine Tochter war erschrocken, als ich ihr meine Kenntnisse über ihr Privatleben vorhielt. Peinlich war es ihr aber nicht. Es blieb auch ohne Folgen. Anders bei der jungen Mitarbeiterin eines bekannten Unternehmers. Sie wunderte sich über ihre Kündigung, die ihr vorgelegt wurde, weil sie sich im Internet über ihren Chef lustig gemacht und ehrabschneidende Behauptungen in die digitale Welt gesetzt hatte. Aber auch im digitalen Dorf wird aus Erfahrung kaum einer klug.

Ich kann auch weiterhin alles über meine Kinder bei Facebook erfahren. Und allen Chefs rate ich mal zu einem Besuch in den Sozialen Netzwerken. Schauen Sie, ob es dort Hinweise gibt, wie Sie und Ihr Unternehmen von Ihren Mitarbeitern gesehen werden und welche Neigungen und Einstellungen Ihre Mitarbeiter haben. Das kann ihren Gesichtskreis erheblich erweitern und ihr Selbstbild deutlich verändern.

TV-Sendungen und Verantwortung

Es gibt großartige Informations- und Unterhaltungsangebote im deutschen Fernsehen. Wir als erwachsene Menschen wählen aus, selektieren und entscheiden bewusst, was uns erreichen soll und was nicht. Das aber ist völlig anders bei jungen Menschen und ihrem Medienkonsum. Je weniger sich Eltern verantwortlich zeigen, umso weniger gefiltert treffen diese Darstellungen unseren Nachwuchs und prägen ihn auch.

Risiken für Psyche und Körper durch übermäßigen Medienkonsum

Lassen Sie mich Aussagen zitieren, die Andreas van Egmond-Fröhlich von der Kinder-Reha-Klinik in Bad Kösen und andere zum Thema Risiken für Psyche und Körper durch übermäßigen Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen auf aerzteblatt.de veröffentlicht haben. Ich ergänze diese um Ergebnisse einer schon einige wenige Jahre alten Studie zu Gewalterfahrungen, Schulabsentismus und Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen. An dieser Studie hat auch der bekannte Kriminologe Christian Pfeiffer aus Hannover mitgewirkt. Man kann über die Ergebnisse in Bezug auf ihre Intensität und Nachhaltigkeit streiten. Aber sie gewähren einen ersten Überblick über die Diskussion zu Risiken und möglichen Auswirkungen auf Psyche und Körper unseres Nachwuchses.

1. Aggressives Sozialverhalten:

Kinder mit exzessiver Nutzung interaktiver Medien zeigen häufig aggressive Verhaltensweisen. Obwohl die Kausalität komplex ist, ergibt sich auch unter detaillierter Berücksichtigung der psychosozialen Rahmenbedingung eine schwache direkte Wirkung des Mediengewaltkonsums auf die Gewalttätigkeit.

Etwa 5-10% der Jugendlichen lassen sich offenbar auf der Grundlage von familiären und sozialen Belastungsfaktoren (zum Beispiel innerfamiliärer Gewalt, emotionaler Vernachlässigung oder Schulversagen), durch aggressive Medieninhalte langfristig in ihren Identifikations-und Handlungsmustern beeinflussen. Nach Pfeiffer u. a. steht die Nutzungsdauer in keinem signifikanten Zusammenhang mit anschließenden strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen. Sondern es ist die Art der präferierten Inhalte, die mit delinquenten Verhalten in Zusammenhang stehen.

Die Studie kommt zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Von denjenigen Jugendlichen, die sowohl Fernseher als auch Spielekonsole im Zimmer haben, die häufiger Horrorfilme schauen und die häufiger Kampfspiele spielen, haben 44,5% im letzten Jahr mindestens eine Gewalttat begangen, 20% gehören zu den Mehrfachtätern (N=219). Jugendliche, für die diese Umstände nicht zutreffen, weisen eine Prävalenzrate von 4,2% und einen Anteil an Mehrfachtätern von 0,4% auf (N=1316). (Dirk Baier, Christian Peiffer u.a., Schülerbefragung 2005: 173)

2. Soziale Integration, Selbstwertgefühl, Körperbild und Lebensqualität:

Die Mediennutzung verdrängt andere Aktivitäten mit Gleichaltrigen und Familienmitgliedern und beschränkt den sozialen Kontakt und soziale Akzeptanz. Hier entsteht ein Circulus vitious. Das in den Medien propagierte Körperbild – weibliche Models haben Untergewicht, die männlichen Darsteller sind muskulös – ist unrealistisch. Die Körperzufriedenheit sinkt nach dem Betrachten solcher Bilder. Es kommt zu gestörtem Essverhalten.

3. Aufmerksamkeit, sprachliche und schulische Entwicklung:

Übermäßige Internetnutzung und erhöhter Fernsehkonsum korreliert bei Schulkindern und Jugendlichen mit einem Aufmerksamkeitsdefizit. Das ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) wird als verminderte Fähigkeit zur Selbststeuerung bei Kindern und Jugendlichen beschrieben. Die Störung wird sichtbar an Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, starkem Bewegungsdrang (Hyperaktivität) und impulsivem bzw. unüberlegtem Handeln.

4. Adiposogenes Verhalten:

Der durch die exzessive Nutzung von Medien resultierende Bewegungsmangel und der hohe Anteil der Fernsehwerbung im Umfeld von Kindersendungen, der überwiegend ernährungsphysioloisch ungeeignete „Kindernahrungsmittel“ wie Burger und Süßigkeiten propagiert, reduziert die körperliche Fitness. In mehr als 30 Querschnittsuntersuchungen korreliert die Prävalenz von Übergewicht mit dem Fernsehkonsum. (Dtsch Arztebl 2007; 104 (38): A 2560-4)

Fazit aus den Studienergebnissen

In immer stärkerem Maße sind die Massenmedien zu einem wesentlichen Sozialisationsfaktor für Kinder und Jugendliche geworden. Darüber hinaus prägen sie die Einstellung vieler Erwachsener. Zwei Drittel aller 12-19-Jährigen haben einen eigenen Fernseher auf ihrem Zimmer. Mehr als die Hälfte besitzen einen eigenen PC. Mehr als 90% nutzen ein multimediafähiges Handy, das sie rund um die Uhr bei sich tragen.

Im Zuge der Nutzung unbegrenzter Medienangebote und dem Aufbrechen traditioneller Familien- und Gesellschaftsstrukturen ist das Ideal einer für alle Menschen verbindlichen Werteskala einer pluralistischen Werteordnung gewichen, in welcher der Individualismus des Einzelnen den zentralen Stellenwert einnimmt.

Gerade für Kinder und Jugendliche haben Werte aufgrund fehlender Vermittlung oft Beliebigkeit oder gar keinen Stellenwert. Gilt der Individualismus einerseits als Ausdruck der Freiheit des Einzelnen, so wird er vor allem in Zeiten der Krise zum Problem für diesen und die Gesellschaft. Jüngere Entwicklungen, wie globaler Terrorismus, religiöser Fundamentalismus, Kriege und steigende Gewaltbereitschaft haben viele Menschen verunsichert. Sie suchen Halt und Orientierung. Werte sind gefragt, jedoch kaum vorhanden oder nicht bekannt. Wir müssen uns fragen, wie wollen wir vor diesen Realitäten Zukunft sichern und kulturelle Identität wahren?

Handlungsmöglichkeiten: Was können wir tun?

Die Diskussion über die moralische Verantwortung von Produzenten und Programmverantwortlichen sollte intensiver geführt werden. Umfang und Methoden der Medienpädagogik müssen stärker auf den Prüfstand. Den Lehrern und in gleichem Maße den Eltern fehlen zu oft die erforderliche Kompetenz für eine effektive Führungsrolle bei einer sinnvollen Mediennutzung. Eine Mediennutzung, die alle Endgeräte und Angebote mit einschließt und nicht ausgrenzt, denn wer unwissend und unbegründet ausgrenzt, ist als Autorität aus dem Rennen.

Kommen wir zu den guten Nachrichten. Einig sind sich die jungen Menschen bei den Inhalten, von denen sie glauben, sie verletzten grundlegende Werte und sollten verboten werden:

  • Kinderpornografische Darstellungen und das freizügige Posieren von Minderjährigen lehnen 80% ab.
  • Gewaltverherrlichung, Folter und Hinrichtungen (75%).
  • Inhalte, die sich über Behinderte lustig machen (75%).
  • Rassistische und rechtsextreme Inhalte (71% bzw. 70%).

Beim Katalog der Inhalte, die mindestens für Erwachsene erlaubt sein sollen, stehen Sexangebote (58%) und Pornografie (51%) an der Spitze. Seiten und Foren zum extremen Schlanksein und Abnehmen halten 49% für wichtig, aber auch Saufforen sollten nach Überzeugung von 49% der jungen Menschen weiter erlaubt sein.

Während 50% der Befragten Gotteslästerung und Blasphemie für die Verletzung grundlegender Werte erachten, wollen 40% das deren Verbreitung weiter möglich sein soll. Interessant ist die Antwort auf Frage nach der Einschätzung von Darstellungen, mit denen in den Medien Menschen lächerlich gemacht werden. Immerhin für 67% liegt eine Verletzung grundlegender Werte vor, wenn Menschen gedemütigt, erniedrigt oder öffentlich lächerlich gemacht werden. Wenn es jedoch um das Lächerlich-Machen von Respektspersonen und Personen des öffentlichen Lebens geht, dann finden das nur noch 45% verwerflich. Immerhin 36% wollen diese Inhalte auch weiter ermöglicht sehen. (Quelle: Media Perspektiven 4/2010, Medien und Tabus: 420)

Menschen sind für das Thema „Christliche Werte“ erreichbar

Die Menschen in unserem Land sind auch über alle Altersgruppen hinweg für das Thema „Christliche Werte“ mehrheitlich erreichbar. Ich hatte vor gut einem Jahr die ehrenvolle Aufgabe, im Auftrag des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland die gesamte Medienarbeit der EKD zu evaluieren.

75% der Deutschen sind für christlichen Wertediskurs offen

Ein wesentliches Ergebnis im Abschnitt Akzeptanzforschung war, dass der Adressatenkreis für explizit glaubensbezogene Kommunikationsanliegen der EKD mit ca. 20-25% der Bevölkerung begrenzt ist. Aber für die weitergefasste Ausrichtung eines christlichen Wertediskurses sind rund Dreiviertel der Deutschen offen. Dazu gehören nach der Wertetypologie von Klages/Gensicke der traditionelle Konformist mit seinem Bekenntnis zu Glaube und Tradition (rund 23 % der Deutschen), der Wertetyp des non-konformen Idealisten mit säkular ausgeprägter Wertschätzung für Werte wie Toleranz, Solidarität und Gerechtigkeit (rund 20 % der Bevölkerung). Auch die pragmatischen Realisten (30 %) stehen dafür, etwas für sich und die Gemeinschaft tun zu wollen und dabei Zufriedenheit zu erlangen. Nur die Materialisten-Hedonisten und die perspektivlos Resignierten (zusammen 27 % der Deutschen) können mit einem Wertediskurs nicht erreicht werden. (IBF EKD-Studie 2009, S. 62 ff.)

Dreiviertel der Deutschen wollen Werte

Wenn 75% der Deutschen Werte wollen, gilt es sie an dieser Stelle abzuholen:

  • mit Geschichten, Berichten,
  • vor allem aber mit Vorbildern, die Mut machen,
  • den eigenen Weg zu gehen, ohne andere zu vergessen,
  • Widerstand zu wagen, ohne zu verletzen,
  • etwas zu riskieren für andere Menschen und für die eigenen Utopien und Wünsche.

Und genau da, bei den Vorbildern, bin ich besorgt. Uns fehlen die Vorbilder. Wir haben Eliten, aber warum melden sich diese nicht zu Wort? Es gibt sehr viele Mitmenschen, die selbstlos agieren und helfen, wo sie können. Aber gezeigt werden diese armseligen Kreaturen, die wir vorhin kennenlernen konnten.

Ich komme zurück auf die aktuelle Shell-Studie. Warum empfinden so viele junge Menschen das Lächerlich-machen von Menschen in öffentlichen Positionen als harmlos, wo sie es doch grundsätzlich ablehnen?

Das 1:30 Problem in der medialen Berichterstattung

Wir erleben täglich Widersprüche und Entscheidungen in der Politik, die wir als ungerecht empfinden. Oft fragen wir uns, wo das nötige Fingerspitzengefühl in der Politik bleibt. Denken Sie etwa an die Milliarden, die zur Bankenrettung aufgewendet wurden. Gleichzeitig wurden den blinden Mitbürgern die Beihilfen gestrichen und nur den Hartz IV-Empfängern das Elterngeld.

Das hat auch mit der besonderen Gemengelage in Bezug auf die politische Berichterstattung zu tun. Ich nenne es das „Problem 1:30“. Der Öffentlichkeit wird das Ziel eines politischen Veränderungswunsches in 1 ½ Minuten verkündet und das endgültige Ergebnis ebenfalls wieder in 1 ½ Minuten Berichterstattung. Allzu oft wird eine Maus geboren und Glaubwürdigkeit von Politik nimmt Schaden. Der ganze Prozess der Einflussnahme von Verbänden und Lobbyisten wird nicht transparent, fällt ins Loch knapper Zeitbudgets. Der Verbändestaat, den wir pervertiert haben, der Korporatismus macht das Land in weiten Teilen unregierbar. Die Realität der Medienberichterstattung verlagert jedenfalls oft zu Unrecht die Verantwortlichkeit zu stark auf die politischen Entscheidungsträger.

Fragen, die wir uns selbst beantworten sollten

Es hat aber immer auch mit der Widersprüchlichkeit unserer eigenen Lebensweise zu tun und nicht nur der Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik. Steht unser eigenes Verhalten im Einklang mit den Werten, die wir propagieren, die wir unseren Kindern vorhalten? Ich will mich hier nicht als Moralapostel aufspielen und bekenne mich selbst der Widersprüchlichkeit schuldig. Aber lassen Sie mich einige wenige Fragen zu Lebenswirklichkeiten stellen, aus denen sich bei jeder und jedem von uns Widersprüche ergeben können:

  • Richten Sie nicht auch Ihr eigenes Denken und Fühlen zu sehr auf das eigene Wohlergehen und die eigenen Ziele aus? Wie viel Raum bleibt in Ihrem Denken und Fühlen für die Nöte und Bedürfnisse der anderen? Und wenn es nur die anderen in unmittelbarer Nähe sind. Schaden wir nicht unserer eigenen Glaubwürdigkeit allzu oft durch ein „Sich-Selber-viel-zu-Ernst-Nehmen“?
  • Handeln Sie immer authentisch? Oder schlüpfen Sie auch in Rollen, um von sich, Ihren Ängsten und Schwächen abzulenken? Verwechseln Sie nicht auch viel zu häufig das Amt, das Sie bekleiden oder die Funktion mit Ihrer Person?
  • Ist das Haben nicht auch für Sie oft ein Ersatz für das Sein? „Wenn Lebenssinn allein in der Teilnahme am allgemeinen Wettbewerb vermutet, Glück mit immer entsublimierteren Formen von Lust identifiziert wird, dann zeichnet sich dahinter der Umriss von Nihilismus ab: Verzweiflung am Lebenssinn – wenn der Wettbewerb aufgegeben werden muss oder die physiologische Lust fade geworden ist und nicht mehr ausreicht.“ (Iring Fetscher in: Was der Mensch braucht, S. 202)

Die schonungslose Frage nach dem eigenen Verhalten ist unbequem und wird sehr oft verdrängt, weil sie Mitschuld offenbart. Mitschuld am Werteverlust, Mitschuld an Akzeptanzverlust bei den Jungen.

Persönliches Fazit als bekennender Christ

Die christlich-abendländische Kultur hat ausreichend Antworten für den Menschen. Wichtigster Wert und Leitlinie ist dabei die Liebe, in der das Bedürfnis steckt nach Annahme, Respekt, würdevollem Umgang miteinander sowie dem Willen zur Verständigung und Versöhnung.

Ein verständnisvolles Herangehen an andere Lebens- und Denkweisen setzt ein Bewusstsein von den eigenen Wertvorstellungen voraus. Wer weiß, was ihm warum etwas „wert“ ist, wird eher verstehen, dass anderen anderes wert ist. Wo man zurückstehen sollte, und wo man es von anderen verlangen darf. Vor dem Verstehen der anderen steht deshalb ein Mindestmaß an Verstehen der eigenen kulturellen Herkunft.

Die Protagonisten einer christlich-abendländischen Tradition müssen aus ihrer Verteidigungshaltung herauskommen und ein eigenes Deutungs- und Interpretationsrecht geltend machen. Nur so können sie endlich aus der mich belastenden Selbstverteidigungshaltung gegenüber dem Deutungsmonopol Dritter herauskommen. Christliche Werte und unsere christliche Kultur und Herkunft haben so viel für Menschen zu bieten, Toleranz, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit, um nur einige zu nennen, die ich in anderen Kulturkreisen sehr vermisse.

Ich gebe zu, lange sind wir auch noch nicht auf diesem tugendvollen Weg. Schon die Kreuzritter hatten Morgenstern und Schwert nicht als Obstbesteck dabei. Die zweifelhafte Rolle der katholischen Kirche im Dritten Reich wollen wir auch nicht vergessen. Aber es hat sich in den letzten 60 Jahren eine Menge getan.

Heute sind wir in Bezug auf Gleichberechtigung, Umweltbewusstsein und Toleranz sehr vielen voraus. Wir können uns sehr selbstbewusst zu unseren Werten bekennen und sollten es auch tun. Wo Staat und Politik keine gemeinsame Identität stiftenden Instrumente für die Menschen säkularer Mentalität und Lebensführung mehr haben, schafft dieses bedauerliche Vakuum neue Wirkungs- und Überzeugungspotenziale für unsere christliche Werteordnung. Und wir sollten es nicht den Kirchen überlassen, die haben auch ein schwieriges Problem mit aktuellen Vorbildern.

 

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Themenbezogene Links

ARD/ZDF-Onlinestudie 2014: 79 Prozent der Deutschen sind online – mobiles Internet und TV-Inhalte als Wachstumstreiber im Netz 
www.ard-zdf-onlinestudie.de

Die JIM und KIM Studie (nur mit Anmeldung auf der Seite einsehbar)
www.mpfs.de